Haubentaucher

von und mit: Monika Kroymann, Silvia Menzel, Christopher Luber

Regie: Jan-Geerd Buss
Musik: Peter Holzapfel, Georg Karger

(Premiere: 15.1.2004)


Frau Dora Sommer wird gegen Ende ihres Lebens von Kriegserinnerungen heimgesucht. Ihre Tochter, die den Krieg nur aus den Medien kennt und ihn verdrängt, steht den seelischen Veränderungen der Mutter fremd und verständnislos gegenüber. Sie ordnet die immer bedrohlicher werdenden Erinnerungen der Mutter ihrem Altwerden zu. Da wird die alte Dame auf einer Bank im Park von einem etwas verwahrlost aussehenden, nach Alkohol riechenden Mann mittleren Alters angesprochen. - Zwischen der alten Frau und dem Obdachlosen entwickelt sich gegen alle Konventionen eine Beziehung. Es beginnt eine Zeit zarten Glücks und später Leidenschaft, die in teuflischer Wut und höllischem Spaß endet. - Eine Hölle zu dritt!

Sechzig Jahre nach Kriegsende fangen die Kinder der Kriegsgeneration an, über ihre Kriegstraumata zu reden. Ihre verdrängten, unter dem goldenen Schutt des Wiederaufbaus begrabenen Erlebnisse, tauchen erst jetzt im letzten Abschnitt ihres Lebens an der Oberfläche ihres Bewusstseins auf. Gleichzeitig erleben wir in den Medien tagtäglich Bilder von den vielen Kriegsschauplätzen dieser Welt. Und wieder sind die Opfer der Kriege Frauen, Kinder und Alte, wieder werden Menschen an Körper und Seele verletzt.


Presse:

„Feuer am Himmel, Eis in der Seele
Das Theaterstück ‚Haubentaucher’ in der Traunsteiner Kulturfabrik NUTS

Für die Rentnerin Dora Sommer hat der Krieg nie aufgehört, kennt die Vergangenheit kein Ende. Tagtäglich wird sie von Erinnerungen an Feuersbrünste und Bombeneinschläge gequält, die ihr das Leben zunehmend schwer machen. Aber auch ihre Umgebung leidet darunter, vor allem ihre Tochter, die den Krieg nur aus den Medien kennt und dem seelischen Chaos der alten, vereinsamten Frau verständnislos gegenübersteht.

Eine Wende tritt ein, als Dora eines Tages im Park einen Mann kennenlernt. Einen bierseligen, beinkranken, aber immerhin phantasiereichen Penner mittleren Alters, der sich Winston nennt. Dora ist nicht gerade angetan von dem aufdringlichen Kerl, dessen spielerischer Umgang mit der Realität sie eher verwirrt denn erheitert. Doch Winston ist hartnäckig, und so überwindet Dora nach und nach ihre Bedenken und es kommt zu einer vorsichtigen Annäherung der beiden Randexistenzen. Ja, und dann passiert es: entgegen allen Konventionen verleiben sich die zwei und späte Leidenschaft lodert auf.
Wer auch dagegen steuert, ist Doras genervte Tochter. Nachdem sie dem schmuddligen Charmebolzen fast selbst erlegen wäre, ist sie so erbost über diese merkwürdige Liaison, dass sie mit eisiger Gemütskälte zur Tat schreitet. Am Ende liegt Winston als verkohlte Leiche im Park, und die Tochter faselt etwas von Neo-Nazis und anderem Gesindel, das sich einen Spaß draus machen würde, Obdachlose ‚abzufackeln’.

Eine Geschichte mit Happy-End sei keine zu Ende gedachte Geschichte, hat mal jemand behauptet. Sollte dies wirklich der Fall sein, haben die Leute vom Theaterhof Priessenthal ganze Arbeit geleistet. Folglich ist das Stück unter der Regie von Jan-Geerd Buss auch als Rückblende angelegt und beginnt mit dem Verhör der Tochter. Wir wissen also sofort, dass etwas Schreckliches passiert ist und sind gespannt darauf zu erfahren, wie es dazu kommen konnte, wie diese unglückselige Dreiecksgeschichte derart viel Sprengstoff anhäufen konnte.

In rascher, aufregender, beinahe filmischer Szenenfolge läuft das Geschehen dann auch ab. Und obwohl gleich mehrere Themenkreise behandelt werden (se Liebe, Kriegstraumata, Mutter-Tochterbeziehung), entsteht daraus ein kompaktes, aufwühlendes Drama mit überzeugenden Darstellern.
Silivia Menzel als Doras Tochter hat dabei die dankbarste, weil unheimlichste Rolle. Zunächst überfordert und eigentlich drauf und dran, ihre verwirrte Mutter in ein Pflegeheim abzuschieben, entwickelt sie die Gewaltbesessenheit eines Mafiabosses, als die Mutter droht, sich ihrem ‚Machtbereich’ zu entziehen. Ein Engel, der ein Teufel war.

Christopher Luber erinnert mit dem Gedichte rezitierenden Winston an die schrägen Verführungskünste eines Charles Bukowski, ist schillernder Rabauke und verletzlicher Feingeist zugleich. Bier und Poesie als Heilmittel am Rande des Abgrunds.

Dazwischen Monika Kroymann, die mit ihrer Dora beweist, dass alte Frauen weder gesichts- noch geschlechtslose Wesen sein müssen. Lustvoll und authentisch lotet sie die Bandbreite zwischen gruftigem Abseits und drittem Frühling aus und bringt rüber, was alle Menschen zu allen Zeiten vom Leben erwarten: Liebe und Aufmerksamkeit.“
(Traunsteiner Tagblatt, 1.4.2004)